Gundam Unicorn und die Brillanz der Laplace-Büchse


Intro

*Spoiler für Mobile Suit Gundam, Mobile Suit Gundam: Char’s Counterattack und Mobile Suit Gundam Unicorn*

Ach ja, Medien, welche zumindest nicht im konventionellen Sinne als direktes Prequel bzw. Sequel dargestellt werden, stehen in einer ganz besonderen Position, wie sie sich inhaltlich zum Original beziehen. Möge es sich thematisch abschotten, es weiterführen oder gar in einen neuen Kontext setzen, besteht immer eine Verbindung, egal wie klein und unwichtig, zwischen den Alten und den Neuen.
Gundam Unicorn ist in den Sinne interessant, dass dessen Wirkung nicht dadurch beschränkt ist, dass es chronologisch drei Jahre nach Char’s Counterattack spielt, sondern sich stattdessen ein wenig von dieser Chronologie entfernt und durch dessen eigene Geschichte rückblickend bestimmte Aspekte der Vorgänger in einem anderen Licht rückt.
Damit soll aber nicht gemeint sein, dass Unicorns Wert nur darin liegt, in welcher Position es zum originalen Mobile Suit Gundam und dessen Nachfolger steht, allerdings werde ich in diesen Video darauf eingehen, wie Gundam Unicorn einen bestimmten und immer wieder auftretenden Aspekt des Gundam Universums rekontextualisiert.

Newtype

Meine ursprüngliche Meinung zum gesamten Konzept des Newtype lässt sich am Besten als irgendeine Mischung an Verwirrtheit und Abneigung beschreiben. Gundam selbst als Narrative beinhaltet überwiegend eher geerdete Themen, ganz voran die des Krieges und die unendlich vielen Ebenen an Moralität dazwischen, weshalb das Einfügen von, im wahrsten Sinne der Definition, Esoterik mir recht seltsam erschien.

Die Newtype sind in dem Sinne merkwürdig, wie vage die genauen Spezifikationen sind, welche die Serie und der Film bereitstellen. Ursprünglich als Teil der von Zeon Zum Deikun vorgestellten Theorie, dass die Menschheit dazu bestimmt war die Erde zu verlassen und als Anpassung ans Weltall einen neuen Schritt der Evolution geht, welcher sich dadurch definiert, dass Menschen untereinander ein besseres Verständnis entwickeln, um deren neue Umwelt zu meistern, spiegelt sich das Verhalten der gezeigten Newtype als eine Art erweitertes Bewusstsein da: Voraussicht bestimmter Ereignisse, das Spüren anderer Newtype, sowie semi-telepathische Kommunikation und nicht zu vergessen: Zugriff auf eine höhere, metaphysikalische Dimension, in der Zeit und Raum verschmilzt und welche als Art letztes Ziel der Menschheit angesehen werden kann… Nein, ich werde nicht elaborieren, unter anderem weil ich es nicht kann, besonders ohne einen Witz zu machen, wie Gundam es schaffte 16 Jahre vor dessen Entstehung bereits Evangelion zu kopieren.
Darüber hinaus kommen noch lore-spezifische Kleinigkeiten wie das Psycommu und Psychoframe hinzu, welches dazu führt, dass ein Großteil der Newtype und deren Fähigkeiten und Bedeutung nur in Beziehung zu den Mobile Suits als Kriegswaffe stehen und quasi auf diese reduziert werden können. Es ist nicht schwer Parallelen zu Star Wars' Konzept der Macht zu ziehen, doch während diese benutzt wird um zumindest fundamental die Beziehung zwischen Gut und Böse zu erforschen, sind die Newtype in Gundam, mit Ausnahme einer Situation, einfach nur da und existieren, ohne groß irgendeine andere Bedeutung zu haben.

Die einzige Ausnahme ist so ziemlich das Ende von Char’s Counterattack mit dem Phänomen, in welchen die Eigenschaften eines Newtype benutzt worden und man am Ende tatsächlich so etwas wie eine Interpretation tätigen kann. Amuro versteht die Gefühle der Soldaten beider Seiten, kann diese sammeln und somit den gemeinsamen Wunsch vereinen, die Erde nicht in einen nuklearen Winter zu stoßen und hält dadurch den Asteroiden auf, quasi als Repräsentation an den Glauben an das Gute in der Menschheit, welches in Kontrast zu Char steht. Selbst diese schnelle Lesung gibt der Existenz der Newtype ein gewisses Gewicht, welches mir den Großteil gefehlt hat.

Dass aus meiner Sicht mit den gesamten Konzept der Newtype nichts gemacht wurde, ist in sich selber kein Problem, aber es ist diese Besessenheit und Fokus auf die Newtype, welche einen erwarten lassen, dass irgendeine Idee hinter diesen steht und dass man irgendetwas damit versucht auszusagen. Dies soll so weniger als eine direkte Kritik aufgenommen werden, als eher ein was wäre wenn, denn die eigentliche Wahrnehmung der Newtype im Gundam Universum selbst ist erstaunlich facettenreich und gut.

Für die Zeons ist die Theorie, dass sich die im All lebende Menschheit weiterentwickeln wird, der wichtigste Pfeiler ihrer Ideologie und wenn man sich anschaut, wie die Zeons im Generellen dargestellt werden, fällt es einen nicht schwer die Newtype als Parallele zur nationalsozialistischen Idee des Übermenschen oder die des Ariers aufzunehmen und wie letztlich die Zeons diese Auffassung als Begründung für ihre Überlegenheit und Rechtfertigung des Krieges benutzen.

Auf der anderen Seite des Konfliktes bestreitet die Erdföderation die reine Existenz der Newtype und stellt es nach Außen als Propaganda da, während intern die Befürchtung besteht, dass sich die Gesellschaft in Newtype und Oldtype spalten könnte und dadurch ein neuer Konflikt entsteht. Einzelne Soldaten sehen die Newtype als Aberglauben an und andere rationalisieren die Leistung angeblicher Newtype als simples Können. Amuro selbst lehnt den Begriff zuerst komplett ab und wird stattdessen von anderen aus als Newtype bezeichnet. Dann gibt es den Stand der Wirklichkeit, welcher sagt, dass die Newtype eher ein vereinzeltes Auftreten sind, welches mit der Zeit nicht annimmt und zweifelhaft ist, ob es überhaupt nur auf Menschen im All zutrifft, ganz davon abgesehen, dass Newtype künstlich erschaffen werden können, und, und, und. Der Umgang mit Newtype wird so deutlich komplexer, wenn man die Frage, was ein Newtype überhaupt ist, in den politischen Kontext der Serie setzt, was uns nun endlich zu Gundam Unicorn bringt.

Gundam Unicorn

Gundam Unicorns Plot folgt der Suche nach der Laplace-Büchse, dessen Inhalt angeblich die Erdföderation in irgendeiner Form zerstören kann. Der einzige Hinweis für den Aufenthalt der Laplace-Büchse, passend als “Schlüssel” bezeichnet, ist der titelgebende Unicorn Gundam, welcher sich durch zwei bestimmte Systeme charakterisiert:
Auf der einen Seite steht das Newtype Destroyer System, welches aktiv Newtype aufspürt und versucht diese auszuschalten, indem der Gundam in den “Destroyer Mode” wechselt. Darüber hinaus ist es möglich, dass wenn der Pilot und der Unicorn Gundam nicht mehr synchron sind, der Pilot jegliche Kontrolle über den Gundam verliert und dieser unabhängig vom Piloten handelt. Es ist eine Maschine, welche explizit dafür konstruiert wurde Newtype zu töten, welches dem ganzen einen Hauch an Ironie gibt, wenn man bedenkt, dass der Unicorn Gundam so ziemlich nur von einem Newtype gesteuert werden kann.
Auf der anderen Seite steht das La+ Programm, welches im Nachhinein eingebaut wurde, um den Pfad zur Laplace-Büchse zu zeigen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind und letztlich als eine Art Test gegenüber den Piloten dargestellt werden kann, ob dieser sich als ein wahrer Newtype herausstellt.

Mit dem Unicorn Gundam wurde somit etwas erschaffen, welches die Idee eines Newtype konkretisieren kann, indem es den Piloten in bestimmte Situationen zwingt, auf Basis dieser ihn beurteilt und somit sicher geht, dass die Laplace-Büchse nur von jemanden erreicht werden kann, dem das La+ Programm akzeptiert.
Die Bedeutung des Newtype wird somit durch die Rolle von Banagher Links, und gewisser Weise Mineva Zabi und Riddhe Marcenas gefiltert, und entspricht ungefähr der ursprünglichen Theorie der Newtype. Einige dieser Eigenschaften kann man auch direkt den Unicorn Gundam entnehmen, welcher dem öfters referenzierten Wandteppich „La Dame à la licorne“ – Zu deutsch „Die Dame mit dem Einhorn“ nachempfunden ist und der Anime besonderen Fokus auf „A mon seul Désir“ und dessen Inschrift „[An] Meinem einzigen Verlangen“ legt. Während die ersten Teppiche öfters als das Vergnügen durch die verschiedenen Sinne des Menschen interpretiert werden, ist die Bedeutung von „A mon seul Désir“ deutlich weniger konkret, wobei es im Kontext von Gundam Unicorn sehr wohl eine Art sechster Sinn des Verständnis und der Liebe repräsentieren kann, da die Frage, was „Meinem einzigen Verlangen“ überhaupt genau bedeutet, ebenfalls etwas ist, womit die Charaktere selbst zu kämpfen haben.

Wie genau nun ein Newtype definiert ist, erkennbar zum Beispiel durch wie Banagher mit einem Großteil der Charaktere interagiert, ist letztlich aber nur zweitrangig und was bleibt ist die Bedeutung eines Newtype. Am Ende der Serie kumuliert es dazu, dass nach einem Trip ins metaphysikalische Wunderland, Banagher Full Frontal widerspricht und stattdessen an die Hoffnung und das Potenzial der Menschheit glaubt, sowie dass er den Laser abwehrt, welcher droht die Laplace-Büchse zu zerstören, in etwas, welchen dem Axis-Shock Event aus Char’s Counterattack ähnelt, nun in einen grün leuchtenden Unicorn Gundam, dessen Newtype Destroyer System überkommen wurde. Was nur noch fehlt, ist die eigentliche Laplace-Büchse.

Die Laplace-Büchse

Die Laplace-Büchse ist in zweierlei Hinsicht interessant: Einmal durch die narrative Bedeutung selbstverständlich, als auch wie die Laplace-Büchse letztlich ihren Pay-off bekommt. Vom Anfang der Serie, bis zur Enthüllung, mit Ausnahme eines kleinen Inserts, mit dem man noch nichts anfangen kann, weiß man nicht wirklich, was man als Zuschauer von der Laplace-Büchse erwarten kann. Man weiß nicht was es ist, niemand weiß wo sie sich befindet und die einzige Information die man besitzt ist, dass sie angeblich die Erdföderation zerstören kann. Wenn man bedenkt, dass Asteroiden und Kolonien auf die Erde fallen lassen nicht unbedingt vom Tisch sind, war meine erste Vermutung in etwa, dass sich die Laplace-Büchse als ein riesiger Gundam auf den Mond oder so ähnlich herausstellt, welcher wortwörtlich die Erdföderation zerstören kann. Wäre dies der Fall, würde das Video vermutlich leicht anders heißen.

Gundam Unicorns erste Folge beginnt mit der Einführung des Universal Centurys, knapp 80 Jahre vor den Ereignissen des originalen Mobile Suit Gundams, sowie knapp 100 Jahre vor Unicorn, sowie einen Terroranschlag auf die Raumstation, in der die Einführung stattfindet. Mit dabei war das Denkmal der Charta des Universal Centurys, welche dort enthüllt werden sollte, aber verloren ging. Die Laplace-Büchse stellt sich am Ende als jenes Denkmal der Charta heraus, allerdings mit einen kleinen Unterschied. Im Gegensatz zur nach dem Anschlag anerkannten Charta, besitzt die originale Charta einen weiteren Eintrag, welcher folgendes besagt:
„Falls in der Zukunft die Entstehung einer neuen, an den Weltraum angepassten Menschheit bestätigt wird, soll die Priorität der Erdföderation darin liegen, sie in die Regierung miteinzubeziehen.“

Es mag wie eine Kleinigkeit wirken, kam aber mit riesigen Konsequenzen einher. Der Eintrag wurde ursprünglich als Entschädigung für die Weltraumkolonien verfasst, da diese in erster Linie dazu dienen, die Überpopulation zu bewältigen. Es war somit ein Gebet, dass die Kolonien irgendwann Autonomie von der Erdföderation durch politischen Einfluss gewinnen können. Die Tatsache, dass dieser Eintrag entfernt wurde, wirft ein klares Licht auf die Intention der Erdföderation gegenüber den Kolonien. Nachdem das Denkmal der originalen Charta aber geborgen wurde, nutzte man diese als Druckmittel gegenüber der Erdföderation, womit das Entfernen des Eintrages, zumindest auf politischer Ebene, vorübergehend entschärft wurde.
Problematisch wurde es, als Zeon Zum Deikun dann die Theorie der Newtype veröffentlicht hat, welches inhaltlich sich nun auf den Eintrag beziehen würde, weshalb das Enthüllen der Laplace-Büchse, wenn auch bisher nur theoretisch, eine echte Wirkung auf die Realität hätte. Kritisch wurde es dann mit den Ereignissen des einjährigen Krieges, in welche sich die Kolonie, bekannt als Zeon, unabhängig von der Erdföderation machen wollte und sich in den darauffolgenden Konflikt die Newtype Theorie bestätigt hat.

Wenn man bedenkt, wie sich die Geschichte hätte anders entwickeln können, ist es keine Untertreibung zu behaupten, dass das Offenbaren der Laplace-Büchse die Erdföderation, als Organisation, zerstören kann, wenn man bedenkt, dass der einjährige Krieg die Hälfte der Menschheit ausgelöscht hat. Welches am Anfang noch im Rahmen eines Skandals lag, hat sich über die Jahre zu mehr als nur ein moralisches Problem eskaliert. Das Enthüllen der Laplace-Büchse würde eine Lüge aufdecken, auf welche fast 100 Jahre Geschichte aufbauen, weshalb Kontrolle über die Laplace-Büchse so mächtig ist und die Frage, welche Konsequenzen man sich erhofft so faszinierend. Man könnte sie weiterhin geheim halten und als Druckmittel verwenden, es gibt offensichtlich Anreize dafür sie zu zerstören, oder man legt das Geheimnis frei. Die Entscheidung liegt aber alleinig bei denjenigen, welche davon betroffen sind. Am Ende wird sich dafür entschieden das Geheimnis um die Laplace-Büchse der Welt zu offenbaren. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind unbekannt, allerdings mag man sich fragen, ob sich überhaupt etwas verändert, denn am Ende des Tages sind es nur Wörter, ein Gesetz, welches alleine keine Wirkung hat.
Die Laplace-Büchse hat in diesen Sinne meine Erwartungen übertroffen, wie vielfältig die Implikationen durch dessen Enthüllung sind.

Der zweite Grund ist ein eher persönlicher. Ich bin ein großer Fan von Mystery-Boxen, in welcher sich der Inhalt als schon fast lachhaft banal herausstellt. Es ist ein schwieriger Drahtseilakt, bei welchen man sehr leicht den Zuschauer dafür beleidigen kann, dass er etwas großes erwartet hat. Gundam Unicorn umgeht dieses Problem, indem es die Mystery-Box für den Zuschauer parallel mit der Narrative koppelt. Die Laplace-Büchse wird so bedeutend, eben weil sie eine wortwörtliche Mystery-Box ist, dessen Inhalt niemand zu wissen weiß und sich dieses Nichtwissen durch die Zeit immer weiter steigert. Dazu kommt noch, dass selbst wenn der eigentliche Inhalt unspektakulär ist, dessen Implikationen bleiben. Die Tatsache, dass die Ereignisse des einjährigen Krieges, das Geschehen, welches das restliche Universal Century geformt hat, hätte verhindert werden können, ist definitiv ein fettes Brett zum Schlucken, wenn man direkt aus Mobile Suit Gundam und Char’s Counterattack kommt.

Die Laplace-Büchse ist ein Plotpunkt, welcher nicht nur in seiner eigenen Geschichte unglaublich stark ist, sondern auch auf einer interessanten Weise seine Vorgänger rekontextualisiert. In meinen Worten: Einfach brillant.


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